Elias Bierdel: Rede des Preisträgers

Ich bin auch sehr bewegt von diesen Bildern (der Fotoshow zum Thema Flüchtlinge), weil ich diese Zusammenstellung noch gar nicht kannte. Danke an alle, die sich soviel Arbeit gemacht haben!

Ich will nur mal vorweg sagen, dass eben neben all den schrecklichen Dingen – und das sind schreckliche Dinge, über die wir da zu reden haben – dass neben allem ich mich als einen Menschen empfinde, der auch unwahrscheinlich viel Glück hat und sehr viel Schönes erfährt und empfängt. So ist es auch heute hier für mich und dafür sage ich schon mal „Danke schön!“.

Glück habe ich hier in dreifacher Hinsicht, finde ich. Das Erste ist natürlich, dass ich diesen Preis überhaupt erhalte – stellvertretend für viele, dazu kommen wir noch, die in dieser Richtung arbeiten. Dass so viele gekommen sind, um dieses in einem feierlichen Rahmen mitzuerleben, das ehrt mich sehr, das freut mich sehr. Es sind Freunde hier aus Griechenland, für mich völlig überraschend und bewegend und es ist natürlich hier – er wurde schon beklatscht, aber ich muss das nochmal sagen – mein Lieblingskapitän aller Zeiten und Weltmeere, Stefan Schmidt. So, das wäre mal das erste große Glück, über das ich mich hier heute freue.

Das zweite ist natürlich, dass wenn schon, dann ich Wert darauf lege, diesen Preis (den Blue Planet Award) zu bekommen und nicht den anderen (den Black Planet Award). Ich versuche mich weiter so zu verhalten, dass das so bleibt, auf der blauen Seite sozusagen.

Und der dritte Glücksfall, ist mir vorhin so aufgefallen, bei der Vorstellung von Katharina Mayer – vielen Dank, dass Du Dir die Arbeit gemacht hast für mich diesen Preis zu erschaffen, muss man ja schon sagen – und ich bin so froh, dass sie sich damals an der Kunstakademie in Düsseldorf für die Fotografieklasse entschieden hat und nicht für die Klasse des damals dort ebenfalls lehrenden Joseph Beuys. Dann hätte ich heute vielleicht mit einem Eimer Fett nach Hause gehen müssen oder sowas. Das war ein super Mann und ich habe ihn sogar mal kennengelernt und ganz viele seiner Werke finde ich ganz, ganz super. Und wollen wir jetzt nicht bei Joseph Beuys bleiben.

Warum bin ich jetzt hier? Warum reden wir heute hier über dieses Thema? Als ich angerufen wurde, ich sei nominiert für den Blue Planet Award, ich war gerade irgendwie bepackt mit Unterlagen, die ich kopieren musste, und das passte mir überhaupt nicht. „Wie bitte?“ Ich dachte ich bin vielleicht falsch verbunden, weil ich das zunächst für einen Umweltpreis hielt – irgendwie ist es das auch, aber in einer wunderbaren, sehr weit gefassten Weise. Da stelle ich mich natürlich jetzt sehr gerne auch in die Reihe der Preisträger bisher, besonders gerne in eine Reihe mit Diane Wilson, der ich ausdrücklich von hier aus meine herzlichen Grüße sende: „Diane, it’s a pleasure working with you, anyhow!“ Und Uri Avnery, ebenfalls jemand, den ich sehr bewundere seit vielen Jahren. Auch das freut und ehrt mich, dass er einer meiner Vorgänger ist hier an dieser Stelle.

Uri Avnery übrigens, der auch einen fantastischen Humor hat, hat ja hier vor einem Jahr seine Ansprache als Preisträger genial eröffnet mit den Worten: „Ich habe eine sehr schöne Rede vorbereitet, aber zu Hause vergessen. Und deshalb muss ich jetzt leider einfach sagen, was ich denke.“ Sowas kann man nur einmal machen, aber ich habe gar nicht erst eine Rede geschrieben, sondern ich bin dafür, dass wir ohnehin dazu übergehen, mehr das zu sagen, was wir wirklich denken. Raus zu kommen aus den Floskeln, die uns überall angeboten werden, in Medien, auch in der Politik, muss ich leider sagen, und anderswo. Die Spiele der Verstellung, als wüssten wir nicht, worum es wirklich geht. Indem wir uns nicht bekennen zu dem, was für uns wirklich zählt, auch im Augenblick. Da raus zu kommen, dazu möchte ich gerne hier auch einen kleinen Beitrag leisten oder von mir aus das anbieten. Das ist immer ein Risiko, und außerdem schafft das nicht immer Beliebtheit, das ist auch klar. Wenn man jetzt wirklich einfach so redet, wie man die Dinge sieht.

Wie sehen wir die Dinge zum Beispiel, die da draußen passieren? Da kann man nur weinen. Und ich habe schon sehr viel geweint darüber, darum muss ich das jetzt im Moment hier nicht tun. Ich finde das auch eine angemessene Reaktion zu weinen angesichts dessen, was sich da draußen abspielt. Wo Tausende Menschen – ich muss das nochmal ganz deutlich hier sagen – verschwinden rings um unsere Wohlstandsfestung Europa herum. Und wir bilden uns ein, wir müssten sie nicht einmal zur Kenntnis nehmen. Das ist vor allen Dingen zuallererst mal furchtbar traurig.

Die Frage, was man dann machen kann damit, die haben wir nun so beantwortet, der Stefan (Schmidt) und ich: Wir wurden angesprochen von anderen AktivistInnen in dieser Richtung, die gesagt haben: „Wir wollen was machen, wo wir nun erst recht hinsehen, was ist wirklich los“, was zur Gründung von borderline-europe führte, wo wir beide gerne mitmachen. Mitglieder, Männer und Frauen, die sich dieser Sache annehmen, sind auch heute hier. Für mich ist das eine wunderbare Wendung gewesen, heraus zu kommen aus all dem, was wir ja da auch irgendwie erlitten haben und was da über uns kam an politischem Druck, an Verleumdung, an Häme, an Prozessen und so weiter.

Die andere Seite ist dann eben, aus so einer Erfahrung irgendwie in Aktion zu gehen. Sich vorzustellen, man ist in der Lage, damit irgendwas zu machen. Das hilft einem selbst, fertig zu werden mit bestimmten Dingen. Die schrecklichste Erfahrung am Anfang war für uns der Eindruck: „Ja sind wir denn die Einzigen, die das furchtbar finden, was sich da abzeichnet?“ Ich kann das im Detail gar nicht erzählen, aber da draußen auf dem Wasser, da hat man ganz merkwürdige Wahrnehmungen. Da treiben überall Wrackteile herum von irgendwelchen Booten, von denen keiner was gesehen haben will. Da bekommt man Schiffsmeldungen, wo mein lieber Kapitän Stefan sagte: „Watt?“ – 40 Jahre deutscher Seemann – „Sowas gibt’s doch überhaupt nicht!“ Schiffsmeldungen, wo von untergehenden Booten die Rede ist, überall. Weil ja alles gesehen wird. Aber es ist nicht die Rede von Menschen, sondern nur von Booten, und es wird gewarnt vor Kollisionsgefahren für die großen Seeschiffe. Und das ist einer der Gründe, warum Kapitäne eben einen großen Bogen fahren, anstatt hinzufahren und zu helfen. Ein anderer Grund ist, dass es eben Schauprozesse gibt, so wie gegen uns.

Wir wurden ja nun freigesprochen und beklagen uns deshalb nicht weiter. Andere aber wurden verurteilt. Und dieser Verein borderline-europe und andere versuchen auch jenen weiter beizustehen – und vielleicht finden Sie auch eine Möglichkeit, das zu unterstützen – denen weiter beizustehen, die nicht so vergleichsweise ungeschoren davonkommen, sondern die eben verknackt werden und die zerdrückt werden sollen im Namen irgendeines höheren Rechts. Zum Beispiel Fischer, die dazu kommen, wie ein Boot sinkt vor ihren Augen. Die nun wissen, dass jetzt Ärger droht. Und in ihrer Not, damit irgendwie fertig zu werden – weil das, Leute, das muss man erst mal aushalten, dass da Menschen ertrinken und dass man nichts tun soll. Aber so ist das an den Rändern Europas. Und die wissen nun, dass ihnen Ärger droht und was tun sie? Sie informieren die Behörden. Das ist ja für uns alle immer so ein verzweifelter Versuch, „ja da muss doch jemand zuständig sein“. Sie informieren die Behörden und in dem Fall ist es die Küstenwache in Italien, die dann sagt: „Okay, da sinkt ein Boot. Nichts anfassen! Wir kommen. Wir kümmern uns darum.“ Aber leider kommt eben keiner. Und es wären zehn Minuten Fahrt für so ein Schnellboot. Und die Fischer sollen zuschauen bei Windstärke 5, wie ein Boot vor ihren Augen sinkt, mit 44 Menschen darauf, darunter Frauen und Kinder, die zum Teil in Panik, ja Todesangst, und zum Teil hoffnungslos sind. Und sie warten eben nicht, sondern sie springen ins Wasser und retten unter Einsatz ihres Lebens diese Menschen, diese unerwünschten Menschen. Das sind wirkliche Helden, auch für uns, und wir nutzen jede Gelegenheit, auf ihre Geschichte hinzuweisen. Und wir nutzen jede Gelegenheit, Sie um Hilfe für diese Menschen zu bitten, die eine so unglaubliche Lektion in Sachen europäische Grundwerte erhalten haben vor zwei Jahren: die Kapitäne Bayoudh und Zenzeri. Wenn Sie Zeit haben, finden Sie draußen Informationsmaterial und einen Hinweis darauf, wie Sie diesen Menschen und ihren Familien Unterstützung zuteil werden lassen können, damit die auch noch etwas anderes sehen als das. Denn dass das wächst, dass ist ja eben die gute Seite der Geschichte und die gute Nachricht.

Wir haben das persönlich erfahren, als wir plötzlich in einer Lage waren, die wir uns so nicht vorgestellt hatten, und wo wir von uns völlig unbekannten Aktivistinnen und Aktivisten, jungen Italienern, so unterstützt wurden, wie man sich das nur wünschen kann. Das war sei eine Art Test, wie ein Sprung – habe ich damals schon mal gesagt – in ein Netz, von dem man gar nicht weiß, ob das existiert. Gibt es da eine europäische Zivilgesellschaft, die sich dann äußert angesichts eines solchen offensichtlichen Unrechts? Antwort: Ja, die gibt es! Für uns gab es die eben in Italien. Hier in Deutschland war es zunächst mal noch nicht so richtig entschlossen. Kein Wunder! In den Medien waren Sachen zu lesen, die, wenn man sie im Rückblick jetzt nochmal anschaut, einem wirklich die Haare zu Berge stehen lassen. „Ein hanebüchener Blödsinn“, könnte man sagen, hätte er nicht diese gewisse maliziöse, hämische Tendenz, die auch politisch irgendwie vorgegeben war. Der Name ist ja schon gefallen, aber ein gewisser Bundesminister (Otto Schily) hat in dieser Geschichte tatsächlich in einer Weise agiert und daran gedreht, die es erst ermöglicht hat, dass wir uns tatsächlich dann im Knast und vor Gericht wiedergefunden haben. Ein bemerkenswerter Vorgang, dass das so möglich ist. Und es geschah damals im Zusammenwirken europäischer Behörden, deutscher und italienischer, wo von zwei Seiten glatte Falschinformationen gegen uns in Umlauf gebracht wurden, die sich dann zu einem schlüssigen Gesamtbild – einem falschen – ergänzten.

Ich war damals schon zu alt und der Stefan sowieso – Tschuldigung! – um das noch für einen Zufall zu halten. Also, mit anderen Worten, hier ging es auf einmal in einer Weise politisch zu, die hatten wir uns so nicht vorgestellt. Ich vielleicht noch eher, mit meiner natürlichen Fantasiebegabung, der Stefan jedenfalls … Ich erinnere mich noch sehr gut, im Fortgang der Ereignisse, wie er mich empört angerufen hat, aus Rostock war das damals beim Gegengipfel zu G20, wo er eine Rede halten sollte, und er ruft mich noch vom Bahnhof aus an: „Ja, was ist denn da los? Ich komme aus dem Bahnhof raus, ich denk’ ich spinne, da steht da so ein Wasserwerfer und die blasen hier die Leute weg! Wo leben wir denn überhaupt?“ Da hat er Recht! Diese Empörung ist ja sowas von angemessen, Stefan. Und bei ihm ist sie auch nicht wieder weggegangen. Bei mir sowieso nicht.

Ich finde vieles von dem, was die Heidi (Wieczorek-Zeul) angesprochen hat … darf ich kurz sagen, zu unserem Verhältnis, weil das sonst immer in Richtung Mystifizierung geht, also es war leider nicht der Anlass Irak-Krieg, wo wir zum ersten Mal miteinander zu tun hatten, das hat sie unterschlagen, das war Absicht. Sondern die erste Sendung, wo ich sie mal eingeladen hatte, das war schon 1990 oder sowas, das war eine Sendung zum Thema „Farbe Rot“. Da habe ich die „rote Heidi“, die ich überhaupt nicht kannte, als Stargast eingeladen. Wir haben uns da eine halbe Stunde über die Farbe Rot unterhalten. Übrig geblieben ist – ich war nie in irgendeiner Partei oder was, ich habe mich auch als Journalist nie in dieser Weise da angenähert, wie das manche andere vielleicht tun, aus guten Gründen, ohne Zweifel – und auch später als Vorsitzender einer humanitären Hilfsorganisation habe ich peinlich darauf geachtet, dass es zwischen uns keinerlei geschäftliche Verbindungen gab. Viele, die so jemanden in so einer Funktion ansprechen, die wollen natürlich vor allen Dingen eins, nämlich Kohle, „die hat ja einen Riesenetat, da wollen wir mal sehen, ob wir mal mitmachen können“, das gab es zwischen uns beiden nicht und darum durfte ich mir auch – völlig unbelastet – diese Heidi als meine Laudatorin wünschen und sie ist auch gekommen und dafür auch nochmal ganz herzlichen Dank.

Allerdings, das war auch immer schon so, liegen wir im Detail politischer Bewertung dann doch nochmal ein bisschen auseinander. Oder sagen wir so: Ich würde vieles weit weniger diplomatisch ausdrücken. Wichtige Dinge sind hier angeklungen. Und ich möchte nur sagen: Es ist ungewöhnlich, dass Politiker – aktive Politiker im deutschen Bundestag – eine solche Sprache finden wie es die Heidi hier jetzt auch nochmal getan hat, öffentlich und per Internet in die Welt hinaus live verbreitet. Dennoch glaube ich, wir müssen die Dinge noch ein bisschen zuspitzen. Oder sagen wir mal, das ist so mein Naturell und das will ich auch euch und Ihnen hier heute nicht ersparen.

Es ist im Kern eine so himmelschreiende Ungerechtigkeit, wie wir uns diese Welt hier zurecht organisiert haben, eine himmelschreiende Ungerechtigkeit gegenüber unseren Nachbarregionen. Und wenn wir uns vorstellen, dass wir unseren – und ich finde ja auch immer ein bisschen schalen – Wohlstand, dass wir den verteidigen können, jetzt vielleicht noch mit Gewalt, gegen jene, die völlig zurecht einen Anteil daran wollen und fordern, sind wir auf einem grotesken Holzweg, der auf jeden Fall ins Elend führt, wie wir es auch anschauen und wie wir es auch tun. Es geht entscheidend darum, diese Umkehr zu finden und ich bin nun mal jemand, der, wie man es ja auch sieht, dem guten Leben eben irgendwie zugeneigt ist. Warum sollte ich das leugnen? Dazu gehört für mich aber auch, dass ich ein solches möglichst vielen anderen Menschen gönnen möchte. Und zwar völlig unabhängig von ihrer Hautfarbe, ihrer Herkunft oder ihrem jeweiligen Lebensort.

Wir haben nun das Beispiel Afrika gehabt und die Heidi weiß ebenso wie ich, Afrika ist ja so viel mehr als nur ein Hilfsadressat oder so, nämlich auch ein Hort ungeheurer Vitalität, einer Kraft, einer Menschlichkeit, an der wir uns nur orientieren sollten, in vieler Hinsicht. Andererseits aber sind die Spuren der Verwüstung, die wir eben dort – traditionell, möchte ich sagen, geschichtlich aber eben auch fortlaufend – ziehen, nicht zu übersehen. Und das ist die berühmte Verantwortung. Heidi, danke, dass du das so klar gesagt hast! Die Verantwortung, der wir uns stellen müssen, denn wir werden ansonsten in Hinsicht auf den Umgang mit Menschen an unseren Außengrenzen nur noch eine einzige andere Option haben, nämlich die Zäune, die dort entstanden sind, noch höher zu ziehen, und von dem, was bisher mehr wie ein Unfall aussieht, überzugehen in die offene Schlacht gegen Flüchtlinge, die zu uns kommen wollen – und, wie ich finde, mit guten Gründen. Dagegen wenden wir uns und wir versuchen daran etwas zu ändern, indem wir zuallererst einmal das, was dort passiert, überhaupt in die Öffentlichkeit bringen. Politik hat kein Interesse, darüber zu diskutieren, im Wesentlichen. Die wollen vertuschen, in welcher Weise sie hier in der Sackgasse sind, und Medien – leider, leider muss ich hier meine ExkollegInnnen schelten – Medien versagen, aber das tun sie in vieler Hinsicht, total, angesichts dieser dramatischen Zuspitzung an unseren Außengrenzen. Nirgendwo ist nachzulesen, dass Teile unserer gemeinsamen Außengrenzen vermint sind und ganze Familien dort explodieren.

Und da ist Ihnen vielleicht aufgefallen, im Rahmen dieser Bildershow, da war ein Bild drin, das gehört da eigentlich nicht hin. Da war nämlich ein Wachturm der Berliner Mauer zu sehen. Und dieser Wachturm, der stand unweit von meinem Kinderzimmer in Staaken. Wir wohnten nämlich nur ungefähr 70 Meter oder so von der Mauer entfernt. Da waren wir uns damals doch so einig, dass das eine Schandmauer ist. Natürlich! Ja! Und dass die weg muss! Und wenn wir heute sehen – und auch das wird ja sehr, sehr ungern vernommen und dennoch ist es wahr -, dass wir fast zeitgleich mit dem Fall der Mauer, des Einsernen Vorhangs in Europa, außerhalb, ein paar Kilometer weiter, Grenzanlagen neu errichtet haben, die diese hier an Perfidie und an mörderischer Präzision bei weitem übertreffen. Und wenn wir denken, wir können das so hinnehmen ohne großes Aufsehen, sind wir sowieso in einem völligen Irrtum begriffen. Das ist meine Meinung.

Und jetzt habe ich doch noch etwas vorbereitet, allerdings nicht für diesen Anlass hier, sondern – jetzt ist schon wieder der Stefan drin, ich weiß auch nicht – Stefan hat drei Söhne, einer ist heute bei ihm, und der mittlere von dreien ist Theaterregisseur. Der hatte mich Anfang des Jahres gebeten, für ein Theaterprojekt in Tübingen einen Text zu schreiben. Einen Text, der in Zusammenhang mit all diesen Dingen steht und der sozusagen auch meine Position hier wiedergibt. Nun bin ich kein Künstler und habe dennoch einen Text geschrieben in einer Art Aufwallung und ich gebe den jetzt einfach mal hier so weiter. Vielleicht versteht ihr dann, was mein Blick auf die Problemlage ist. Ich habe das jetzt mal noch überschrieben mit dem Wort „Ermutigung“:

Es geht ja gar nicht um die Anderen
die irgendwo verschwinden,
verdursten, ertrinken,
erschlagen werden, verhungern, ersticken
es geht nicht um die,
die in viel zu kleinen Booten
die, eingesperrt in Containern,
heimlich auf Lkw-Ladeflächen geklettert
auf große, schöne Schiffe,
in die Fahrwerksschächte von Ferienfliegern
so furchteinflössend unbeirrbar
zu uns kommen wollen
zu uns kommen müssen.

Es geht nicht um die,
deren Namen wir nicht kennen,
denen wir Kriegsschiffe entgegenschicken
die wir an Flughäfen abfangen
auf Bahnhöfen und Autobahnen
nicht um die, die wir an den Stränden finden
in den Minenfeldern, in den Stacheldrahtzäunen
oder anderswo vor den Mauern der Festung
innen und außen
tot oder lebendig
mehr tot als lebendig
oder ganz tot.

Es geht nicht um jene,
denen wir mit Bedacht die Lebensgrundlage nehmen
(Pardon. Das ist doch schon fast ein Gewohnheitsrecht!
Nach all den Jahren!!!)
Weil wir uns doch angewöhnt haben
Unsern erräuberten Reichtum auf ihre Kosten
Zu erwerben und zu mehren und deshalb –
Das ist doch nur folgerichtig, oder? –
Diesen Reichtum auch gegen sie verteidigen
(denn wir werden das Gefühl nicht los,
daß sie kommen, um ihren Anteil einzufordern)
UNSEREN Reichtum gegen SIE zu verteidigen
Notfalls mit Gewalt
Eigentlich NUR mit Gewalt
Gutes Zureden hilft ja nichts mehr
Sie hören uns ja kaum noch zu
Weil sie uns unsere Lügen nicht mehr glauben
Wie auch wir nicht mehr glauben unsere Lügen.
Amen.

Wir glauben es ja selbst nicht mehr
Von wegen
Daß sich Leistung wieder lohnen
Fortschritt durch Wachstum
Und Plasma-TV für alle
Pendlerpauschale, edel sei der Mensch
… und wir die Herren der Welt
Die, die wissen, wie`s geht
Die Superschlauen
Topchecker-Ganoven!

Aus und vorbei.
Wir haben uns verrannt.
Das müssen wir nun endlich einmal zugeben.

Spätestens durch den Klimawandel …
(Jaja, ich weiß: niemand hört das gern)
Also: DER KLIMAWANDEL
Wird von UNS verursacht – durch unseren maßlosen,
blöden Lebenswandel des „Immer-mehr“
den „way of life“
der doch längst zum Todesmarsch geworden ist.
Geben wir`s doch mal einfach zu.

Ist doch gar nicht so schwer.
Tut doch fast nicht weh
Jedenfalls geht`s uns nachher
Allen zusammen
Besser. Ehrenwort!

Einfach mal zugeben:
WIR sind hier verantwortlich
WIR müssen für die Folgen geradestehen.

Tja, wie gesagt
es geht ja eben nicht um SIE, die Anderen…
Es geht ja gar nicht um „die Anderen“.

Es geht um uns.

Es geht um uns
Die wir auf dem Weg in den Wohlstand
In die Technik
in die perfekten Systeme
Offenbar
Irgendetwas SEHR WICHTIGES
Verloren haben.
Nennen wir es mal „Glück“,
nur der Einfachheit halber.

Unser Volk braucht derzeit etwa
Viereinhalb Tonnen
Psychopharmaka,
um sich über diesen schmerzlichen Verlust hinwegzubedröhnen.
Am Tag.
Vielleicht sind es auch 12 Tonnen oder vierhundert.
Dazu kommen dann noch die anderen, legalen Drogen
Und ein paar illegale.

Oh, entschuldigung, das Wort „Illegale“
Hatten wir ja an anderer Stelle reserviert.
Das sind doch jene Sklaven, denen wir listig
Das Bürgerrecht verweigern,
damit sie nicht auch noch Schadensersatz fordern,
wenn sie auf den Baustellen für unsere Glaspaläste
vom Gerüst fallen.

Auch das sind dann Tote, von denen wir nichts wissen wollen.

Fein ausgedacht, das alles
Klappt doch wie GESCHMIERT

Ob wir es schaffen, damit aufzuhören?

Den falschen Weg verlassen
Öde Pfade der enttäuschten Hoffnungen
Die uns ins nirgendwo führen
Und auf denen wir hintrotten,
immer noch tapfer lächelnd! Aber:
die Angst im Herzen
die Trauer in den Augen
wegen der immer größeren Sehnsucht
dieser mächtigen Sehnsucht nach
dem wahren, richtigen Leben
fröhlich, gelassen und voller Liebe.

Leute, das ist ja durchaus drin
Aber erstmal: innehalten
Dann: den falschen Weg verlassen
Unsere abgefuckte, bunte, elende Sackgasse
Das Wagnis: vertrautes Elend zu tauschen
Gegen ein ungewisses, neues Glück!
Wir könnten doch so viel gewinnen
Indem wir manches unterließen …
Man muß sich nur trauen.

Noch ist es vielleicht nicht ganz soweit
Weil derzeit die Kräfte der
Beharrung
Der Selbsttäuschung
Der Realitätsverweigerung
So etwas wie ihre letzte Party feiern.
Das müssen wir ertragen
Ist ja nicht mehr lange
Aber für ein gewisse Weile
Tanzen sie noch.
Tanzen sie auch noch auf den
Nicht vorhandenen Gräbern
Von tausenden unbetrauerten Toten

Aber dann.
Es wird kommen die Zeit
In der wir auf unsere ganze feige Dummheit
Und auch auf die heutige Schandmauer
Mit Scham zurückblicken
Eine Zeit, in der wir auch dieser Mauertoten gedenken
Ihre Mörder zur Verantwortung ziehen
Und uns gemeinsam zu unserer Schuld bekennen

Vor allem zu der Schuld
Weggesehen, geschwiegen
Und gelegentlich sogar
– natürlich nur im privaten Kreis –
irgendetwas von
„die können doch nicht alle zu uns kommen“
geschwafelt zu haben.

So als hätten wir nicht gewußt
Wie die Dinge wirklich liegen.

So als hätten wir nicht verstanden
daß es nicht um „die Anderen“ geht
sondern
Daß WIR UNS ändern müssen.

Ich wollte noch zum Schluss – ich bin jetzt natürlich fertig hier – trotzdem noch ein Wort, was ein bisschen einen Bogen schlägt zum Beginn dieser Veranstaltung, wo ja schon mal ganz kurz Robert Jungk angesprochen wurde. Vorher als wir aus Lüchow-Dannenberg hier den Bericht hörten, war das der Fall. Robert Jungk, der sehr, sehr hellsichtig in den Fünfziger Jahren schon vor allen Dingen wahrgenommen hat und entsprechend publiziert hat, dass die Nutzung bestimmter Technologien, hier der nuklearen Technik, uns vor Probleme stellt, am Ende auch demokratiepolitisch schwierig wird, wenn wir versuchen, mit solchen Risiken umzugehen. Das war sozusagen seine Ahnung, wo er in Austausch kommen wollte, wo er diskutieren wollte, nur damals – politisch war das sowas von unerwünscht und unter einem Atomminister Franz Josef Strauß kann man sich das ja vorstellen – man hat diesen Mann weggefegt, in die Ecke gestellt usw. usf. Und er hatte doch Recht, Robert Jungk.

Es war mein Privileg, aus meiner journalistischen Periode, damals im letzten Jahrhundert, dass ich eines der letzten Interviews mit Rober Jungk kurz vor seinem Tod führen konnte. Und er war ein wunderbarer, sanfter, kluger Mann. Und ich habe ihn zum Schluss von diesem Interview – er war schon über 80 – gefragt, ob er, der nun soviel hatte erdulden müssen und jetzt am Ende seines Lebens sieht, er hatte schon Recht, aber es wollte eben keiner hören, und wie er damit umgeht. Ich habe ihn gefragt, ob er für uns Nachgeborene und für die Jugend noch so etwas wie einen Lernsatz hat, so etwas, was er uns da lässt. Und ohne zu zögern hat Robert Jungk gesagt: „Ja: Wir müssen lernen, freundlicher miteinander umzugehen.“ – Und ich war so enttäuscht, ja, junger Journalist, ich dachte, jetzt kommt die Weltformel – und dann sowas! Und je älter ich selber werde, umso klarer ist mir, auch damit hatte er Recht. Und wir sollten versuchen, freundlicher miteinander umzugehen. Wir hier miteinander, in unseren Beziehungen, in unseren Familien, mit unseren Freunden, in unserer Straße, in unserer Stadt und auch zwischen anderen Völkern und Kontinenten. Dafür will ich arbeiten. Danke schön!