Grußwort Susan George / Attac Frankreich

Mein lieber Jean,

die Stiftung Ethik & Ökonomie überbrachte mir die freudige Nachricht, dass sie Dir den diesjährigen ethecon Blue Planet Award zugesprochen haben. Jeder der Dich kennt und fast jeder der Dich nicht kennt wird das gleiche sagen – so etwas wie „gut gemacht“ oder „Niemand hätte es mehr verdient als Du“. Denen würde ich natürlich zustimmen. Aber wie jeder andere Preis ist dieser eine Anerkennung für Deine in der Vergangenheit geleistete Arbeit. Ich möchte den Blick lieber auf die Zukunft richten. Denk jetzt nicht, dass ich witzig sein will. Nein, ich meine das absolut ernst. Wir sind beide im selben Jahr geboren – Du im Januar und ich im Juni – aber wir sind beide 78 und wir wissen wie das ist wenn man älter wird. Aber wir haben auch ein gewisses Maß an Erfahrung angesammelt und sind vielleicht sogar im Anfangsstadium der Weisheit.

In meinem Leben – und ich nehme an Dir ging es genauso – bin ich im Grunde genommen zwei Arten von Menschen begegnet. Da sind diejenigen, die auf der Linken beginnen, als Fortschrittliche, oder zumindest was sie für fortschrittlich und links halten – und dann bewegen sie sich schrittweise aber geradewegs nach rechts und werden oft zur schlimmsten Sorte von Reaktionären. Zu Anfang kümmern sie sich um das, was anderen Menschen passiert, aber schlussendlich kümmern sie sich nur noch um ihre eigene Position. Sie beginnen ihr aktives Erwachsenenleben indem sie erkennen, dass Reichtum und Macht treibende Kräfte in den menschlichen Angelegenheiten sind, und sie schwören, dass sie zu den Waffen greifen werden für die Benachteiligten, die beides nicht haben; am Ende vereinen sie sich dann mit genau den Kräften die sie einst verachteten. Man trifft sie oft im Ja-nuar an Orten wie Davos an. Es gibt unzählige Beispiele – ein besonders unerhörtes Beispiel ist in der heutigen Zeit der frühere Maoist J-M Barroso, dem es nun offenbar Freude bereitet, die normalen Leute in Griechenland, Spanien und seinem eigenen Land Portugal für Verbrechen zu bestrafen, die sie gar nicht begangen haben. Wir beide könnten noch viele andere nennen, und leider ist diese Kategorie bei weitem die verbreitetste.

Die andere Art von Mensch beginnt vielleicht mit einem Bildungs- und Familienhintergrund, mit dem man nicht zu irgendwelcher Radikalisierung neigt – oder neigen sollte. Dennoch entdecken solche Leute durch eigenes Bemühen mehr als andere, wie die Welt tickt. Und durch diese Erkenntnis bewegen sie sich immer näher hin zum gefährlichen Feld der Linken. Der jetzt 95-jährige Stephane Hessel ist ein gutes Beispiel. Diese Kategorie von Menschen bewundern und lieben wir beide, und für mich bist Du einer von diesen.