Medienerkärung 12-07-06

„Aus der Katastrophe nichts gelernt“ – ethecon verurteilt die Wiederinbetriebnahme des japanischen AKW Oi

Seit Donnerstag produziert Japan wieder Atomstrom. Nachdem zwei Monate lang alle 50 Atommeiler des Landes abgeschaltet waren, ist jetzt im Atomkraftwerk Oi der erste Reaktor wieder ans Netz gegangen. ethecon – Stiftung Ethik & Ökonomie, die erst letzte Woche ihren Schmähpreis, den Internationalen ethecon Black Planet Award 2011, an die Verantwortlichen des TEPCO-Konzerns in Tokio übergeben hat, kritisiert diese Entscheidung heftig.

„Die japanische Regierung und die Stromkonzerne haben aus der Katastrophe nichts gelernt“, so Lydia Will, Mitglied des Stiftungskuratoriums und der Delegation, die zur Schmähpreis-Übergabe nach Japan gereist ist und dabei auch die Präfektur Fukushima besichtigt hat. „Anstatt sich um die Versorgung und Evakuierung der betroffenen Anwohner rund um Fukushima zu kümmern, wollen sie nur so schnell wie möglich wieder Profit machen. Der Wille der japanischen Bevölkerung wird komplett ignoriert.“ In Umfragen sprechen sich rund 70 Prozent der Japaner gegen das Wiederhochfahren der Atomanlagen aus. Am 29. Juni demonstrierten etwa 150.000 Menschen in Tokio vor dem offiziellen Wohnsitz des japanischen Premierministers Noda, um die Wiederinbetriebnahme des Reaktors Oi im letzten Moment zu verhindern.

Wie das Atomkraftwerk Fukushima liegen die Reaktoren in Oi direkt an der Küste, in unmittelbarer Nähe zu aktiven geologischen Verwerfungen, die teilweise noch nicht genauer untersucht worden sind (Quelle: Ende des ZDF-Beitrags zur Schmähpreis-Übergabe, ZDF-Mediathek, Suchwort „Schmähaward“). Somit ist die Gefährdung hier noch akuter und offensichtlicher, als es in Fukushima der Fall war. Dabei waren auch dort die Gefahren durch Erdbeben und Tsunamis bekannt – sie wurden nur heruntergespielt. Das hat der Bericht der vom japanischen Parlament eingesetzten Untersuchungskommission eindeutig festgestellt. Der Unfall sei vorhersehbar und vermeidbar gewesen und letztlich das Ergebnis eines zu engen Verhältnisses zwischen der Regierung, der Atomaufsicht und den Energiekonzernen. Dieses sorgte sogar dafür, dass die Atomaufsichtsbehörde TEPCO Vorschläge machte, wie das Unternehmen Sicherheitsmaßnahmen vermeiden könne (Quelle: taz-Bericht vom 5.7.2012). Gleichzeitig wurden Konzernmitarbeiter nicht ausreichend geschult, was im Falle eines Unfalls zu tun sei. Und schließlich wurde die betroffene Bevölkerung weder ausreichend informiert noch rechtzeitig evakuiert.

Auch jetzt noch sind 75 Prozent der Präfektur Fukushima stark radioaktiv verstrahlt: Ein Gebiet, in dem etwa 360.000 Kinder leben und täglich draußen spielen (Quelle: Clinic Fukushima). Doch die japanische Regierung hat den Super-GAU für beendet erklärt, die Sperrzone verkleinert und versucht, die Zustände vor Ort zu normalisieren, anstatt die gesamte Bevölkerung zu evakuieren. Dabei sind im Reaktor 1 des havarierten Atomkraftwerks gerade erst Strahlungswerte von über 10 Sievert pro Stunde gemessen worden. Bei solchen Werten wird die maximal erlaubte Strahlendosis pro Jahr schon innerhalb von 20 Sekunden erreicht (Quelle: Japan Times vom 29.6.2012). Und im stark beschädigten Reaktor 4 lagern immer noch 1.500 Brennstäbe im Abklingbecken in einem der oberen Stockwerke. Die Mauern des Gebäudes neigen sich seitwärts und wölben sich teilweise auswärts (Quelle: New York Times vom 27.6.2012). Sollte der Reaktor bei einem weiteren Erdbeben einstürzen, droht eine Katastrophe, die den Super-GAU vom März letzten Jahres noch in den Schatten stellen könnte.

Um den Bewohnern der Region wenigstens eine Anlaufstelle zu geben, an die sie sich mit ihren Fragen und ihrer Sorge um die Gesundheit vor allem der Kinder wenden können, sammeln Organisationen wie die „Mütter von Fukushima“ für ein Gesundheitszentrum, in dem unabhängige Ärzte und Ärztinnen tätig werden sollen. Das Zentrum soll ein Gegengewicht bilden zu den Fehlinformationen regierungstreuer Ärzte wie Shunichi Yamashita. Der Vizepräsident der Medizinischen Universität von Fukushima behauptet immer wieder, Strahlendosen von bis zu 100 Millisievert pro Jahr seien unbedenklich und die Aufnahme von radioaktiven Stoffen in den Körper nicht gesundheitsgefährdend (Quelle: Clinic Fukushima). Als Starthilfe zur Einrichtung des Gesundheitszentrums haben die Delegierten der Stiftung ethecon nach ihrem Besuch in Fukushima 2500 Euro gespendet. ethecon ruft nun weltweit zu Solidarität mit diesem Projekt und zu seiner Unterstützung auf. Denn die Folgen des Super-GAUs im Atomkraftwerk Fukushima sind noch lange nicht absehbar. In dieser Situation die landesweit abgeschalteten Reaktoren wieder in Betrieb zu nehmen ist daher ein großer Fehler.

Die ausführliche Begründung für die Verleihung des Internationalen Black Planet Award 2011 findet sich im Dossier über die TEPCO-Verantwortlichen im Downloadbereich der Webseite www.ethecon.org, eine Kurzfassung im in deutsch, englisch, spanisch und japanisch verbreiteten Offenen Brief. Darin fordert ethecon die Haftung der Großaktionäre und die Bestrafung der Entscheidungsträger des Energiekonzerns. Diese trafen aus reinen Profit-Gründen Fehlentscheidungen, ohne die es gar nicht erst zu der Nuklearkatastrophe hätte kommen können. Diese Vorwürfe hat der Untersuchungsbericht mittlerweile bestätigt.

Die Stiftung ethecon ist vor allem durch die jährliche Vergabe ihrer Internationalen ethecon Blue bzw. Black Planet Awards in Berlin bekannt. Mit den Positivpreisen hat ethecon in den vergangenen Jahren Diane Wilson/USA (2006), Vandana Shiva/Indien (2007), José Abreu und Hugo Chávez/Venezuela (2008), Uri Avnery/Israel (2009), Elias Bierdel/Österreich (2010) sowie Angela Davis/USA (2011) ausgezeichnet. Die Schmähpreise gingen bisher an die EigentümerInnen bzw. AktionärInnen und das verantwortliche Management der Konzerne Monsanto/USA (2006), Nestlé/Schweiz (2007), Blackwater (Xe)/USA (2008), Formosa Plastics Group/Taiwan (2009), BP/Großbritannien (2010) und Tepco/Japan (2011).

ethecon ist im Gegensatz zu den vielen Konzern-, Familien-, Kirchen-, Partei- und Staatsstiftungen eine der wenigen Stiftungen „von unten“, die sich mit ihren derzeit 30 ZustifterInnen und dem Leitmotiv „Für eine Welt ohne Ausbeutung und Unterdrückung!“ in der Verantwortung gegenüber den kommenden Generationen sieht. Die noch junge Stiftung finanziert sich über Zustiftungen, Spenden und Fördermitgliedschaften.