Aktuelle Meldung / WZ Interview mit Chieko Shiina über Fukushima

Das harte Leben in Fukushima

Chieko Shiina lebt in der verstrahlten Region. Sie gibt der Regierung die Schuld.

Die Japanerin Chieko Shiina führte ein beschauliches Leben als Biobäuerin und Inhaberin einer Pension. Doch am 11. März 2011 wehte der Wind die freigesetzten radioaktiven Partikel des Kernkraftwerks von Fukushima auch in ihre Bergregion. Seitdem engagiert sich die zierliche 66-Jährige für einen Ausstieg aus der Atomenergie. Sie campierte monatelang in einem Zelt vor dem Wirtschaftministerium in Tokio, lebt aber mittlerweile wieder in der Region Fukushima.

Westdeutsche Zeitung: Frau Shiina, aus deutscher Sicht ist die Stimmung in Japan unübersichtlich. Laut Umfrage wollen nur 18 Prozent der Japaner an der Atomkraft festhalten. Aber im Dezember wurde die Demokratische Partei von Premier Yoshihiko Node abgewählt, die langfristig aus der Atomkraft aussteigen will. Stattdessen gewannen die Liberaldemokraten von Shinzo Abe, die die Atomkraftwerke zurück ans Netz bringen wollen. Wie passt das zusammen?

Chieko Shiina: Natürlich haben wir auch Angst. Aber Radioaktivität kann man nicht sehen – das ist das erste. Dazu betreibt die Regierung eine gewaltige Propaganda, dass man alles unter Kontrolle habe und Fukushima absolut sicher ist. Und viele Bewohner wollen einfach zurück in ihre Heimat.

Wie gestaltet sich denn das Leben in der Stadt?

Es ist schwierig, weil es Probleme mit der Strom- und Gasversorgung gibt, es haben kaum Lebensmittelläden geöffnet. Die Regierung betreibt die Kampagne auch aus finanziellen Gründen: Wer zurückkehrt, bekommt keine Unterstützung mehr, denn er hat ja wieder sein normales Leben. Die Menschen die evakuiert sind, bekommen 100.000 Yen pro Monat und Person – das sind etwa 770 Euro.

Wie hoch ist die radioaktive Belastung?

Ziemlich hoch. An einigen Stellen, den so genannten Hot Spots, werden Werte von 0,9 Mikrosievert pro Stunde gemessen – als unbedenklich gelten aber 0,1 Mikrosievert pro Stunde. Von der Regierung wird das aber als unbedenklich deklariert, sie lässt dort Laufwettbewerbe für Kinder und Volksfeste veranstalten. Die Straßen wurden dafür aber nur sehr oberflächlich dekontaminiert. Viele Arbeiter bekamen nicht einmal Schutzkleidung – und manche haben die kontaminierte Erde einfach in den Fluss geworfen.

Hat die Zahl der Krebserkrankungen zugenommen?

Die Präfekturverwaltung hat jetzt veröffentlicht, dass es 15 Fälle von Schilddrüsenkrebs gibt. Aber sie sagen, dass die natürlich nichts mit dem Super-Gau zu tun haben. Die unanhängige Klinik der „Mütter von Fukushima“ wird bald eine eigene Analyse vorlegen.

Allerdings hat die Uno gerade erst einen Bericht veröffentlicht, demzufolge in Fukushima keinerlei Krebsgefahr besteht.

Die Uno steht an der Seite der US-Regierung und der Atommafia. Dieser Bericht entspricht nicht der Wahrheit. Kommen Sie nach Fukushima, dort können Sie die harte Realität kennenlernen.

Hatte die Nuklearkatastrophe für den Kraftwerkbetreiber Tepco Konsequenzen?

Nein, die Regierung übernimmt die finanziellen Schäden, die eigentlich Tepco regeln müsste. Und wenn der Konzern zur Abwehr von Schadenersatzforderungen Erklärungen abgibt wie: „Die freigesetzte Radioaktivität gehört nicht uns“, dann wird das sogar vom Gericht akzeptiert.

Dennoch ist die Anti-Atomkraft-Bewegung in Japan keine Massenveranstaltung geworden. Wie gehen Sie damit um?

Ich werde für den Rest meines Lebens den Kampf nicht aufgeben. Wie jede Bewegung hat auch diese Ebbe und Flut.
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MÜTTER GEGEN ATOM

Person Chieko Shiina (66) lebte als Biobäuerin 60 Kilometer vom Atomkraftwerk Fukushima entfernt. Seit der Nuklearkatastrophe ist ihr Land nicht mehr zu bewirtschaften. Die vierfache Großmutter gehört zu den Gründerinnen der Organisation „Mütter von Fukushima“, die gegen zahlreiche Widerstände für einen Ausstieg aus der Atomkraft kämpfen.

Veranstaltung Shiina berichtet heute (13.06.2013) um 19 Uhr mit zwei japanischen Mitstreitern aus der japanischen Anti-Atomkraft-Bewegung über ihr Land bei einer Veranstaltung von ethecon – Stiftung Ethik & Ökonomie – im Bürgerzentrum in Düsseldorf-Bilk, Bachstr. 145.
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Interview von Anne Grages, Westdeutsche Zeitung vom 13.06.2013