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Interview mit André Shepherd
„Fahnenflucht – Krieg & Dessertation“

Am 21. November spricht der US-Krieg-Deserteur André Shepherd in Berlin im Rahmen der internationalen ethecon-Tagung mit Verleihung der beiden internationalen ethecon-Preise an den israelischen Friedens- und Menschenrechtsaktivisten Uri Avnery und die Verantwortlichen des Chemie-Hersteller FORMOSA PLASTICS GROUP aus Taiwan.

André Shepherd aus Cleveland/USA wurde als Soldat in den Irak verlegt und ist im Jahr 2007 desertiert. Nach längerer Zeit in der Illegalität hat er in Deutschland politisches Asyl beantragt.

Hier ein Interview mit André Shepherd, das die Zeitschrift Terz in ihrer gerade erschienen November-Ausgabe veröffentlichte: http://www.terz.org/

Frage: Wir beginnen mit einer kurzen Zusammenfassung der Ereignisse, die dazu geführt haben, dass Sie sich in dieser Situation befinden.

Shepherd: Ok. Um die Situation völlig zu verstehen, müssen wir uns ungefähr neun Jahre in die Vergangenheit zurückversetzen. Im Jahr 2000 war die Internet-Blase in den Vereinigten Staaten gerade geplatzt. Ich hatte mein Universitätsstudium wegen Geldmangel gerade abgebrochen, und es gab eine Flaute am Arbeitsmarkt. Das Ergebnis war, dass ich schlecht bezahlte Arbeitsstellen nehmen musste, einfach um über die Runde zu kommen. Ich hatte nicht genug Geld, um eine Wohnung zu mieten, und ich wohnte ein ganzes Jahr in meinem Auto. Während dieser Zeit haben Vertreter des Militärs mich angesprochen.

Frage: Was hat das Militär Ihnen als Gegenleistung für Ihren Dienst angeboten?

Shepherd: Sie boten mir Geld, eine Wohnung, vollständige medizinische Vorsorge, Geld, um mein Studium abzuschließen und Fachkenntnisse, die ich nach Ende meiner Dienstzeit brauchen könnte, um eine gute Stelle zu finden. Für einen Mensch in meiner Situation war das ein Angebot, das zu gut war, um abgelehnt zu werden.

Frage: Sie sagen also, dass Sie nicht wegen des Drangs, Ihrem Land zu dienen, Soldat geworden sind?

Shepherd: Nein, ich habe es aus rein wirtschaftlichen Gründen getan. Die Tatsache ist, dass die meisten Angehörigen der Streitkräfte aus ähnlichen Gründen Soldaten geworden sind.

Frage: Das ist faszinierend, weil die meisten Menschen zum Glauben neigen, dass das US-Militär ausschließlich aus Freiwilligen besteht. Sie erklären, dass die meisten keine Alternative haben.

Shepherd: So ist es.

Frage: OK, Sie sind Soldat geworden. Wann sind Sie in den Irak gegangen?

Shepherd: Ich bin September 2004 an „Camp Speicher“ (einer Militärbasis in der Nähe von Tikrit) angekommen. Meine Einheit war schon da, als ich meine Militärausbildung abgeschlossen habe, und ich bin direkt zu ihr gegangen.

Frage: Hegten Sie Zweifel über Ihre Tätigkeit, als sie angekommen sind?

Shepherd: Nein, weil ich noch glaubte, unsere Regierung würde ihre eigenen Soldaten nicht belügen, was die wahren Gründe für den Krieg angeht.

Frage: Wie ist mit der Berichterstattung in den Medien in Amerika? Gibt es keine Quellen, aus denen man herausfinden könnte, was wirklich passiert?

Shepherd: Wenn man arm ist und ums Überleben kämpft, ist es sehr unwahrscheinlich, dass man über die Mittel verfügt, um die Wahrheit herauszufinden. Es ist nicht, als hätte ich einen Internet-Zugang in meinem Auto gehabt. Die großen Medienkonzerne (corporate media) in den Vereinigten Staaten gaben nur die Ansicht der Regierung über die Ereignisse wieder. Abweichende Stimmen wurden verspottet oder ignoriert.

Frage: Sie meinen also, dass die großen Medienkonzerne daran schuld sind?

Shepherd: Ja.

Frage: Wann haben Sie herausgefunden, dass Sie belogen wurden?

Shepherd: Ich habe angefangen zu zweifeln, als ich nach den Kampf um Fallujah (November 2004) im Irak war. Wir haben eine ganze Stadt von ungefähr 200.000 Menschen zerstört, nur um einen Monat später zu entdecken, dass keine Massenvernichtungswaffen zu finden waren. Wir wollten wissen, wann wir den Irak verlassen würden, und man hat uns gesagt, wir würden den Irak nicht verlassen. Als ich 2005 nach Deutschland zurückkehrte, stellte ich Nachforschungen über die Irak- und Afghanistan-Kriege an und fand heraus, dass sie Angriffskriege waren, dass die Menschen in diesen Ländern keine Bedrohung für uns darstellten, dass es ihnen egal war, was wir machten, aber wir haben Hunderttausende von ihnen ermordet. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich, dass ich nicht mehr in diesem Konflikt dienen könnte, weil ich kein Mörder bin.

Frage: Was haben Sie dann gemacht?

Shepherd: Als ich im Jahr 2007 erfuhr, dass wir in den Irak zurückkehren sollte, habe ich die Entscheidung getroffen, die mein Leben für immer geändert hat; ich habe mich entschlossen, das Militär und vielleicht auch mein Land für immer zu verlassen.

Frage: Warum haben Sie so lange gewartet, bis Sie einen Asylantrag stellten?

Shepherd: Die Wahrheit ist, zuerst wollte ich versuchen, auf ganz normale Weise nach Deutschland einzuwandern. Mir wurde die Option des Asyls im Juli 2007 angeboten, aber ich wusste, was für einen politischen Feuersturm meine Aktion hervorrufen würde. Ich wusste, dass diese Option die deutsche Regierung in eine schlechte Position bringen würde, wegen ihrer historischen Beziehung zu den Vereinigten Staaten. Ich glaubte auch, sie würde meinen Asylantrag nicht ernst nehmen, weil Amerika das Image eines „Landes der Freien“ hat. Deshalb habe ich versucht, alles über das Ausländeramt zu regeln und mich auf normale Weise zu integrieren. Das Scheitern dieses Versuchs und Aktionen der US-Regierung 2007-2008 haben mich veranlasst, dann doch diese Entscheidung zu treffen. Ich meine, dass sie ein starkes politisches Statement ist, um der Welt zu zeigen, dass der Durchschnittssoldat die egoistischen Interessen des amerikanischen Regimes nicht unterstützt.

Frage: Kämpfen Sie gegen das Militär?

Shepherd: Absolut nicht! Das US-Militär hat eine lange Geschichte als erster Verteidiger amerikanischer Freiheiten. Ich habe viel Respekt für die Männer und Frauen in Uniform, mit denen ich diente. Der Kampf ist gegen die US-Regierung und das Banken-Establishment und sonst nichts. Natürlich bringen meine Aktionen mich in direkten Konflikt mit den militärischen Vorschriften, aber die größere Aufgabe ist die Verhinderung dieser Kriege um Profit. Seit viel zu langer Zeit hat diese Bande von Schergen in Washington DC unsere Freiheiten mit Füßen getreten und sie hat uns konsequent betrogen, damit wir Angriffskriege unter dem Vorwand der „Freiheit“ führen. Ich glaube, dass es an der Zeit ist, dem ein Ende zu setzen.

Frage: Was hält Ihre Familie davon, dass Sie gegen die Regierung kämpfen, die Sie ausgebildet hat?

Shepherd: Meine Familie gibt mir viel Unterstützung und wünscht mir das Beste. Es ist für sie natürlich schwer, da die Möglichkeit besteht, dass ich auf unbestimmter Zeit nicht in die USA zurückkehren kann. Sie weiß aber, dass ich Sachen aus tiefer Überzeugung mache. Auch sie hat die Lügen und den Betrug des amerikanischen Establishments durchschaut, so unterstützt sie mich zu 100%.

Frage: Was würde Ihnen passieren, sollten Sie wieder in den Machtbereich der USA kommen?

Shepherd: Auf Desertion steht eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis mehreren Jahren. Mit hoher Wahrscheinlichkeit kann man in den Vereinigten Staaten auch als „convicted felon“ (verurteilter Schwerverbrecher) angeklagt werden. Das ist die höchstmögliche strafrechtliche Beschuldigung. Es ist im Grunde genommen ein Verbrechen gegen den Staat. Die Folgen einer solchen Verurteilung wären schwere Einschränkungen in meinem Leben – bei der Arbeitssuche, bei der Aufnahme eines Kredits, beim Wählen und auch bei der Annahme eines Amtes. All das würde auf mich warten, wegen eines Verbrechens, das darin besteht, das Richtige getan zu haben; was die Generäle und die Regierung nicht getan haben. Warum sollte ich leiden, wenn Leute wie Bush & Co. frei herumlaufen, Reden halten, und Buchverträge unterschreiben? Die Moral ist auf den Kopf gestellt worden, Kriegsverweigerer werden strafrechtlich verfolgt und inhaftiert, während die Kriegsverbrecher das Leben genießen. Das muss aufhören.

Frage: Was hat das mit Deutschland zu tun? Das scheint ein amerikanisches Problem zu sein.

Shepherd: Dieser „Krieg gegen den Terror“ (jetzt „Overseas Contingency Operations“ – Auslandseinsätze in Eventualfällen) trifft jede und jeden von uns. Er hat eine besondere Wirkung sowohl auf die Bürgerinnen und Bürger der USA als auch auf Deutschland. Damals im Jahre 1946 fanden die Nürnberger Prozesse hier statt, und es wurde das Prinzip festgelegt, dass niemand die Ausrede benutzen darf: „Ich habe nur Befehle ausgeführt.“ Daran haben die USA mitgearbeitet. Jetzt handeln die Amerikaner, als würden Gesetze für alle außer ihnen gelten. Zu den zahlreichen Beispielen gehören die Missachtung der UNO-Charta hinsichtlich Angriffskriegen, das Verabschieden eines Gesetzes, das ihnen das Recht gibt, Den Haag anzugreifen, sollte irgendein Amerikaner vor das „International Criminal Court“ gestellt werden, das Schikanieren von Verbündeten, die der Parteilinie nicht folgen, die Verwendung von deutschen Militärbasen zur Führung ihrer illegalen Angriffskriege in eklatanter Verletzung des Grundgesetzes, usw. Es ist gut bekannt, dass deutsche Soldaten eingesetzt werden, um Krieg gegen die afghanische Bevölkerung im Auftrag der USA zu führen. Diese tapferen Individuen werden als Kanonenfutter in einem Krieg gegen eine Zivilbevölkerung eingesetzt, die nichts mit dem 11. September zu tun hatte. Auch der Mann, den wir angeblich suchen, steht nicht einmal auf der Fahndungsliste des FBI im Zusammenhang mit diesen Angriffen. Also, warum sind sie da? Dies ist ein internationales Verbrechen, das Chaos auf der ganzen Welt verursacht, und wir müssen alle zusammenkommen, um dieses traurige Kapitel der Geschichte zu beenden. Das Zeigen von Solidarität in diesem Kampf ist der erste Schritt, um dies zu verwirklichen.

Frage: Meinen Sie, dass der neue Präsident die Änderung bringen wird, die er versprochen hat?

Shepherd: Leider muss ich sagen: nein; und das habe ich auch seit letztem Jahr gesagt. Die neue Regierung ist nicht vom Kurs der vorherigen abgewichen. Sie zieht es nicht einmal in Betracht, die Mitglieder der alten Regierung wegen der von Bush & Co. begangenen Verbrechen gegen die Menschlichkeit strafrechtlich zu verfolgen. Das Militär ist noch im Irak – trotz der Versprechungen, der Krieg in Afghanistan ist eskaliert worden, um auch Pakistan einzuschließen, die iranische Regierung wird destabilisiert, und der Präsident hat gesagt, er würde Inhaftierte auf unbestimmte Zeit festhalten. Er hat das Schicksal der Angehörigen der Streitkräfte, die sich weigern für ihn oder für Bush zu kämpfen, nicht einmal erwähnt. Die Aktionen der Regierung beweisen, dass wir mehr der gleichen Politik erwarten müssen, oder sogar Änderungen, die viel schlimmer sind, als wir es uns vorstellen können.

Frage: Haben Sie ein Schlusswort an die Leserinnen und Leser?

Shepherd: Ich möchte die Menschen bitten, die Wahrheit über die Geschehnisse unter möglichst vielen Leuten zu verbreiten. Nur wenn die Menschen die Wahrheit über die Situation kennen, können wir hoffen, diesen Krieg zu beenden.

Sie können André Shepherd persönlich kennenlernen am 21. November in Berlin im Rahmen der internationalen ethecon-Tagung „Fahnenflucht“ mit Verleihung der beiden ethecon-Preise im Pfefferwerk, Berlin.

Hier einige Links, die die Aussagen von André Shepherd unterstützen:

Osama bin Laden, among the FBI’s „Ten Most Wanted Fugitives“: Why was he never indicted for his alleged role in 9/11?
http://www.globalresearch.ca/index.php?context=va&aid=3246

„Hague Invasion Act“: Bush Signs a New Law Designed to Intimidate Countries That Ratify the Treaty for the International Criminal Court
http://www.democracynow.org/2002/8/6/hague_invasion_act_bush_signs_a

German court declares Iraq war violated international law
www.wsws.org/articles/2005/sep2005/iraq-s27.shtml
U.S. could keep troops in Iraq for 10 years
http://www.washingtontimes.com/news/2009/may/27/us-could-keep-troops-iraq-10-years/

Rachel Maddow: Indefinite detention? Shame on you… President Obama
http://www.youtube.com/watch?v=1uuWVHT1WUY