Grußwort von Konstantin Wecker (Deutschland)

Lieber, hochverehrter Jean Ziegler,

ich hätte so gerne die Gesichter der Sponsoren und „Kunstfreunde“ der Salzburger Festspiele erlebt, wenn Du ihnen Deine unverblümten Wahrheiten um die Ohren gehauen hättest, aber dieses Vergnügen haben sie uns und Deinen Bewunderern nicht vergönnt.
Wir durften dann Deine nicht gehaltene Rede lesen und im Internet verbreiten und konnten uns immerhin vorstellen, wie das auf alle die gewirkt
hätte, die glauben, dass Kunst ein schmückendes Beiwerk des Lebens sei, ein Zuckerguss sozusagen, ein seelisches Wellness-Paket für Begüterte und die
sich vor allem aus allem rauszuhalten habe, was mit Politik zu tun hat.
 
Du warst nie dieser Meinung, lieber Jean Ziegler, im Gegenteil, Dir scheint die Kunst ein wichtiger gesellschaftlicher Transformator zu sein, Du hast alles immer beim Namen genannt. Und wie Du es tatest, das hat uns Künstlerinnen und Künstler, Aktivistinnen und Aktivisten in Friedens-, Umwelt- und sozialen
Bewegungen stets tief beeindruckt und ermutigt, wenn wir auch stets der Frage überlassen wurden, ob wir diesen Mut so aufgebracht hätten.
Ja, selbst als die Süddeutsche Zeitung schrieb, Du würdest jetzt „allgemein“, bist Du immer noch sehr konkret und angreifbar gewesen. Sie haben Dich in der Schweiz mit flächendeckenden Prozessen überzogen, Deine materielle Existenz in Frage gestellt und Dich beinahe komplett ruiniert. Sie haben versucht, Dich zu skandalisieren, wie sie es immer tun, seit sie von manchen Brachial-Methoden des Joseph Goebbels und des Joseph McCarthy etwas Abstand genommen haben. Und sicher ist es dem einen oder anderen von uns Kämpfern gegen das große Kapital und die Spekulanten-Macht lieber, Angst im Bauch zu haben, als eine Kugel.
Aber am Ende geht es immer um den einen archimedischen Punkt, um die eine juristische Sekunde, in der ein Mensch sagt: „Hier stehe ich und kann nicht anders.“
 
Oder, was vielleicht sogar ein Stück aristokratisch klingt: „Hier stehe ich. Ich könnte anders. Aber ich will nicht!“
Rosa Luxemburg sagte, alles Revolutionäre habe dort seinen Ausgangspunkt, wo offen ausgesprochen wird, was ist.
„Der Kopf des Monsters ist hier. Hier ist Dein Platz, hier musst Du kämpfen.“
Jener legendäre Satz, den Dir einst Che Guevara im Genfer UNO-Gebäude gesagt hat, sollte für viel mehr Journalisten, Autoren, Kulturschaffende und Wissenschaftler Maßgabe sein.
 
Die jetzige Bankenkrise in Europa, die nicht daher rührt, dass irgendein Sozialstaat in Griechenland, Italien, Spanien oder Portugal zu gefräßig gewesen wäre, sondern aus der natürlichen Gier des Monopolkapitals, die der Natur des Imperialismus entspricht, vor Krieg und Faschismus nicht Halt macht und
ebenso wenig vor Hungerkatastrophen und Dürre, wenn es um Spekulationsobjekte geht, ist wieder eng verbunden mit den beiden Firmennamen GOLDMAN SACHS und DEUTSCHE BANK.
 
Bertolt Brecht sagte einst, dass denen, die in aller Öffentlichkeit der Zerstörung tausender Menschen das Wort reden, die Hände zerschlagen werden müssen.
Übertragen hieße das, dass die genannten großen privaten Kreditinstitute – am Beispiel der deutschen Sparkassen orientiert – in öffentlich-rechtliche Hand überführt werden müssen.
Wer sich mit ihrer Macht abfindet, kann, wenn er auch nur ein Buch Jean Zieglers gelesen hat, nicht mehr so tun, als habe er eine „rein wirtschaftliche“ Logik im Auge, als würde er nur im Wirtschaftsteil seiner Zeitung oder im Fachausschuss seines Parlaments eine schlichte Rechenaufgabe erfüllen. Wer sich mit der Macht dieser institutionellen Massenmörder abfindet, macht sich mitschuldig am Tod der Massen.
Solange ein paar wenige Menschen so viel Kapitalmacht in der Hand haben, dass sie ein paar Tausend andere mit einem Fingerklick tot machen können,
haben wir mit der Zivilisationsgeschichte noch nicht einmal begonnen.
Auch dies ist eine Lehre des unbeugsamen Jean Ziegler. Wer schweigt, stimmt zu. Und wer zustimmt, ist beteiligt am Schuldenkonto der Menschheitsgeschichte aller fünf Kontinente.
 
Lieber Jean, einst wurdest Du gefragt, was Dein Traum sei. Deine Antwort bedeutet mir viel und mit mir auch vielen anderen Künstlern im Genre des Lieds, des Schauspiels und der Lyrik. Als wir uns nämlich organisiert hatten zu „Künstler für den Frieden“ damals gegen die Atomraketen, als wir dann mit
Gewerkschaften und sozialen Bewegungen gegen Massenentlassungen gesungen haben und als wir für die Occupy-Bewegung musiziert haben, war das leider immer nur ein viel zu kurzer Impuls. Ja, es fällt den Kunstschaffenden schwer, dauerhaft Politik gegen Macht und Mainstream zu machen und ihr Publikum dennoch bei Laune zu halten.
Pablo Neruda wurde einst gefragt, warum er sich der antikapitalistischen Politik verschrieben habe und nicht nur den unterhaltenden schönen Künsten. Und er antwortete schlicht mit einem Gedicht:
„Kommt. Seht doch. Seht doch das Blut auf den Straßen“.
 
Die Feinde der Menschlichkeit sind so gefährlich, weil sie oft so naiv tun. Als sähen sie nicht das Ende ihrer Renditerechnung. Und die Leichenberge ihrer
Spekulation. Und die Medien nehmen es ihnen ab, wie sie ihnen viele Aufgaben abnehmen. Weshalb Dein so früh verstorbener Freund Pierre Bourdieu
diese Journalisten „Trojaner des Neoliberalismus“ genannt hat.
 
Und so wurden die Großbänker noch gefährlicher, noch erfolgreicher, noch flächendeckender. Sie haben Kontinente zu einer Weltmacht der Verlierer de
gradiert. Deren Botschafter Du bist. Und die sich in all ihren Schwächen und Fehlern nun doch er heben, wie Lateinamerika es gerade tut.
Aber wir wissen, dass ihr Kampf auch in den Metropolen verloren werden kann. Und wir wissen, dass die Zeit der schwarzen Listen für die, die Gegenmacht singen, sprechen und schreiben, noch lange nicht vorbei ist, auch wenn die „Blacklisters“, Zensoren und Inquisitoren in den Medien subtiler und geschickter geworden sind. Deswegen sollte Deine Antwort von damals, die ich zum Abschluss zitieren möchte, verstanden werden als ein Auftrag, gegen die Großspekulanten und die Bankenmacht nicht nur organisch und punktuell, sondern organisiert und dauerhaft anzustehen.
Auf die Frage „Was ist mein Traum?“, hast Du geantwortet: „Die Musik, das Theater, die Poesie – kurz: die Kunst – transportieren die Menschen jenseits ihrer selbst. Die Kunst hat Waffen, welche der analytische Verstand nicht besitzt: Sie wühlt den Zuhörer, Zuschauer in seinem Innersten auf, durchdringt auch die dickste Betondecke des Egoismus, der Entfremdung und der Entfernung. Sie trifft den Menschen in seinem Innersten, bewegt in ihm ungeahnte Emotionen. Und plötzlich bricht die Defensiv-Mauer seiner Selbstgerechtigkeit zusammen. Der neoliberale Profitwahn zerfällt in Staub und Asche“.
 
Dass wir dies lesen durften, hören durften, singen durften und vorgelebt bekamen und weiterhin bekommen werden, dafür danke ich Dir.

Dein Konstantin Wecker