Aktuelle Meldung / junge Welt Interview mit ethecon-Vorstand Axel Köhler-Schnura

„Ich hau dir die Birne zu Matsch …“

Unglaubliche Polizeiexzesse in Frankfurt am Main, selbst Beamte waren entsetzt. Ein Gespräch mit Axel Köhler-Schnura, Betriebswirt, u. a. aktiv in „Coordination gegen BAYER-Gefahren“ und in der „Stiftung ethecon“

junge Welt: Unter dem Titel „Getreten, geprügelt, mit Giftgas bekämpft“ berichten Sie in einem „Erlebnisprotokoll“ (siehe www.ethecon.org) über die Blockupy-Demo in Frankfurt am Samstag. Was haben Sie erlebt?

Axel Köhler-Schnura: Das war ein schwarzer Tag in der Geschichte der Bundesrepublik. Ich bin 64 Jahre alt und war schon auf vielen Demonstrationen – ich bin empört, wie unverhohlen und öffentlich am Samstag die Verfassung und die Grundrechte gebrochen wurden, mit brachialer Polizeigewalt. Ein friedlicher Zug mit 15000 bis 20000 Menschen in zwar regenfester, aber doch vorsommerlicher Kleidung wurde von militärisch hochgerüsteten und vermummten Polizeieinheiten überfallen. Stundenlang wurden Tausende mit Prügeln, Reizgas, Fußtritten und Knüppeln malträtiert – ohne Rücksicht auf alte Menschen oder Kinder. Einem Kind soll sogar das Schlüsselbein gebrochen worden sein. Krankenschwestern und Ärzte haben sich auf der Demonstration spontan gemeldet, um die Flut von Verletzten zu versorgen. Auch ich humpele und mußte mir ein ärztliches Attest besorgen.

Selbst Polizisten sollen entsetzt über die Gewalttätigkeit ihrer Kollegen gewesen sein …

Einzelne Beamte haben sogar mitten im Geschehen die Seiten gewechselt. Ein Polizist, der meiner Frau gegenüberstand, war angesichts der wahllosen Prügelei in Tränen ausgebrochen. Völlig erschüttert stammelte er: „Das sind doch hier alte Menschen!“ Ein anderer hat meine Frau von seinen Kollegen weg aus der Prügelszene herausgezerrt. Immer wieder hat die Polizei verletzten Demonstranten die Hilfe verweigert – eine junge Beamtin hingegen hat zur Versorgung Wasserflaschen gereicht.

Wie ist der Kessel überhaupt zustande gekommen?

Die Polizeibehauptung, es habe „Passivbewaffnung“ vorgelegen, gab es erst Stunden nach Beginn des gewaltsamen Einsatzes. Journalisten, die permanent nachfragten, bekamen keine Antwort. Und plötzlich hieß es: „Passivbewaffnung“. Der Wetterbericht hatte „Starkregenereignisse“ ankündigt – es ist nichts als Lüge, Hetze und Dreck, wenn die Polizei den vorsichtshalber eingesteckten Regenschirm dann als „Bewaffnung“ bezeichnet.

In Wahrheit ging es darum, die Demonstranten nicht zur Europäischen Zentralbank durchzulassen. Das wollten das hessische Innenministerium und die schwarz-grüne Stadtregierung Frankfurt mit allen Mitteln verhindern. Deshalb gab es ja die gerichtlichen Auseinandersetzungen bis hoch zum Hessischen Verwaltungsgerichtshof. Die haben sie zwar verloren, sich dann aber über diese Gerichtsurteile hinweggesetzt.

Wer ist politisch dafür verantwortlich?

Ein Polizist hat es mir gegenüber auf den Punkt gebracht: „Ich hau dir die Birne zu Matsch, wenn du einen Schritt weiter gehst“ – er hat so dem Ausdruck verliehen, was der hessische Innenminister Boris Rhein wollte: Bis hierher und keinen Schritt weiter! Um ihren offenen Rechtsbruch zu legitimieren, wollte die Polizeiführung eskalieren. Sie wollte zur Rechtfertigung Bilder „linker Gewalt“ provozieren. Aber die Demonstranten haben diese Erwartung nicht erfüllt, keiner hat zurückgeschlagen.

Gab es eine besondere Behandlung für die Linkspartei? Deren Bundes- und Landtagsabgeordnete hatten Polizeiketten trotz Parlamentsausweises oft nicht passieren können …

Offenkundig. Zum Beispiel haben Greiftrupps gezielt linke Bundestagsabgeordnete aus dem Kessel abgeführt, um dann ohne parlamentarische Zeugen hemmungslos drauflosprügeln zu können.

Stimmen aus SPD und Grünen sind zu hören: Der Einsatz sei zu hart gewesen. Sie fordern die Absetzung des hessischen Innenministers Boris Rhein (CDU)…

Das wäre zu begrüßen: Dieser Innenminister muß weg, ein Untersuchungsausschuß muß eingerichtet werden – alles, was die Demokratie zu bieten hat, muß geschehen! Das entläßt aber SPD und Grüne nicht aus ihrer politischen Mitschuld. Sie kuscheln mit Kapital und Konzernen, sie haben Agenda 2010 und Hartz IV in die Welt gesetzt.

Scheiben der Deutschen Bundesbank und einer anderen Bankfiliale in Frankfurt am Main gingen in der Nacht zum Montag zu Bruch. Wundert Sie das?

Können wir sicher sein, ob das nicht „Agents provocateurs“ waren – Agenten der Polizei? Ich sagte bereits: Innenministerium und Polizeiführung brauchen Rechtfertigungen für ihre Gewaltexzesse und den Verfassungsbruch.

Interview von Gitta Düperthal in der jungen Welt vom 4.6.2013