Menschenrechtsorganisationen rufen zur Beobachtung des Oury-Jalloh-Prozesses am Landgericht Magdeburg auf und verurteilen den Polizeieinsatz gegen Mouctar Bah, Träger der Carl-von Ossietzky-Medaille, am 11. August im Landgericht Magdeburg
Anlässlich der Vorfälle vom 11. August 2011 beim Landgerichtsprozess in Magdeburg um den Feuertod des Asylbewerbers Oury Jalloh kritisieren die Ökumenische Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche, die Internationale Liga für Menschenrechte und das Komitee für Grundrechte und Demokratie den rigiden polizeilichen Umgang mit einigen Prozessbeobachtern aufs Schärfste: „Als Organisationen, die sich den Menschenrechten verpflichtet wissen, treten wir ein für eine rückhaltlose Aufklärung der Umstände, die zum Verbrennungstod von Oury Jalloh im Polizeigewahrsam geführt haben. Wir solidarisieren uns mit den Aktivistinnen und Aktivisten der Oury Jalloh Initiative und Black Community, deren Aufklärungsarbeit mit Schikane und Repression beantwortet wird.“
Mouctar Bah von der „Initiative in Gedenken an Oury Jalloh“ schildert die Vorgänge am 11. August 2011: „Ich fragte: ‚Wo ist der Leichnam von Oury Jalloh? Wie kam das Feuer wirklich zustande?‘ Auf diese Fragen hin musste ich meinen Ausweis vorlegen und den Gerichtssaal verlassen. Als ich die Treppe hinunterging, hielt mich ein Polizist auf. Ich wurde auf den Boden geschmissen. Polizisten setzten sich auf meinen Rücken, verdrehten mir gewaltsam die Arme und legten mir Handschellen an. Warum? Warum diese Brutalität? Es gibt noch so viele ungeklärte Fragen im gesamten Prozess. Daher fordern wir, die ‚Initiative in Gedenken an Oury Jalloh e.V.‘, ein internationales und unabhängiges Brandgutachten und Untersuchungsverfahren. Wir wünschen uns nichts als die Wahrheit.“
Pastorin Fanny Dethloff, Vorsitzende der Ökumenischen Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche, erklärt dazu: „Dem Menschenrechts-Medaillenträger Mouctar Bah gebührt aller Respekt und Achtung, da seine Initiative die einzige angemessene Reaktion auf schreiendes Unrecht mitten unter uns ist. Seine Verletzung beim letzten Gerichtsprozess ist eine Ohrfeige für all diejenigen, die an demokratischen Grundlagen in unserem Land festhalten und Menschenrechtsarbeit voranbringen.
Denn es gibt Menschenrechtsverletzungen auch mitten unter uns. Eine offen klaffende Menschenrechtswunde ist der Tod von Oury Jalloh: der vor sechs Jahren verhaftet, fixiert auf einer unbrennbaren Matratze, in einer überwachten Zelle, trotz Feueralarms bis zur Unkenntlichkeit verbrannt ist. Dieser Tod fand keine adäquate Rechtssprechung, keine Wahrheit und keine Gerechtigkeit. Im Gegenteil: selbst jetzt in der nächsten Instanz wird das Opfer wieder zum Täter gemacht.
Wir brauchen internationale Hilfe bei der Aufklärung dieses Falles und endlich eine Politik, die sich dem Versagen angesichts eines tiefen behördlichen Rassismus stellt. Der Schrei nach Gerechtigkeit darf nicht angesichts schweigender Verantwortlicher in Magdeburg verhallen.“
Fanny-Michaela Reisin, Präsidentin der Internationalen Liga für Menschenrechte, zieht aus der bisherigen Prozessbeobachtung folgendes Resümee:
„Die Dessauer Polizei und insbesondere die Zuständigen auf dem Revier Dessau-Rosslau wirken an einer rückhaltlosen Aufklärung nicht mit. Ausgemacht zu sein scheint, dass der angeklagte Dienstgruppenleiter Andreas Sch. an jenem Tag fahrlässig gehandelt habe. Im Übrigen lauten die häufigsten Antworten, die im Gerichtssaal – oftmals gestützt durch anwaltliche Beistände der Zeugen – zu hören sind: “weiß ich nicht„, “kann mich nicht erinnern„, “davon verstehe ich nichts„. Der Gleichmut des Gerichts und der Staatsanwaltschaft – es gäbe durchaus rechtlich vorgesehene Maßnahmen, um diese offenkundig organisierte Amnesie zu “kurieren„ – sind in dieser Situation ebenfalls schwer zu ertragen.
Wie schon in der erstinstanzlichen Hauptverhandlung vor dem Landgericht Dessau sind die Vereitelungen der Aufklärung, die Widersprüche und die Lügen skandalös. Wichtige – vorgeblich von der Staatsanwaltschaft seinerzeit beschlagnahmte – Informationsquellen wie das Fahrtenbuch, in dem jede Fahrt (Streife) oder das elektronische Journal, in das fortlaufend nummeriert jeder Einsatz eingetragen wird, galten im erstinstanzlichen Verfahren als verschwunden, um nun nach einem Antrag der Nebenklage vor dem Landgericht Magdeburg nach fünf Jahren doch noch aufzutauchen; allerdings mit widerrechtlichen Löschungen, deren Urheber nicht ermittelbar sind. Just vom Tag des Verbrennungstodes und genau in der Zeit vor Ausbruch des Feuers sind die Eintragungen gelöscht, die fortlaufenden Nummern lückenhaft. Desgleichen sind Protokolle der Vernehmung von Bediensteten des Polizeireviers um den Tag des Geschehens zum Teil unauffindbar, gerade von wichtigen Belastungszeugen. Und über allem schwebt die schier unerträgliche Tatsache, dass niemand der vernommenen Zeugen und Zeuginnen, die vor Ort ihren Dienst besorgten, Oury Jalloh schreien hörte. Wie ist es möglich, dass jemand stillschweigend verbrennt?
Ein Wort noch angesichts des Vorgehens gegen Mouctar Bah am 11. August 2011. Während meiner sporadischen Prozessbeobachtung am Magdeburger Landesgericht hatte ich den Eindruck, dass das Gericht und folglich auch die Bediensteten des Wachpersonals im Gerichtssaal die Teilnahme der Öffentlichkeit am Verfahren als großzügig zugestandenes Entgegenkommen auffassen und nicht als Recht der Bürger und Bürgerinnen achten. Erwartet werden daher besondere Dankbarkeit und Wohlverhalten. Durch die Vorfälle am 11. August wurde deutlich, dass die noch kommenden Verhandlungstage dringend der öffentlichen Beobachtung bedürfen.“
Nächste Prozesstermine: 25.08., 31.08., 01.09., 22.09.2011; jeweils ab 9:30 Uhr vor dem Landgericht Magdeburg, Saal A23.
Kontakt:
Verena Mittermaier, Ökumenische BAG Asyl in der Kirche e.V.; Fon: 030 – 25 89 88 91; Email: info@kirchenasyl.de