Ein Wochenende mit Angela Davis
Eine vom Jetlag müde aber neugierige Angela Davis lässt sich am Freitag, den 18.11.2011 auf den Vorschlag ein, nach der offiziellen Pressekonferenz der Stiftung ethecon im Bundespressehaus in Berlin zur diesjährige Preisverleihung des Blue Planet Awards, einen kurzen Spaziergang entlang der Spree zu machen – zum Zeltlager des Occupy-Camps in Berlin. Doch nur wenige sind am frühen Nachmittag da – die meisten sind in der Humboldt Universität wo sie anlässlich des Bildungsstreiks Uni-Räume mitbesetzt haben. Wir verabreden uns zur „Assemblea“, zur Versammlung um 17.00 Uhr im Occupy-Camp nähe des Berliner Hauptbahnhofs.
So haben wir Zeit, mit Angela zu sprechen, über die in den USA sich zuspitzenden Auseinandersetzungen in der Gesellschaft, die auch zur der Entstehung und Verbreitung der Occupy-Wall-Street-Bewegung in der USA beigetragen haben. Wir sprechen über ihre Solidaritätsarbeit in der „Free Mumia“- und zu den „Frededom for the Cuban Five“-Bewegungen. Sie erzählt uns über ihr derzeitiges Engagement in der Organisation CR „Critical Resistance“ (kritischer Widerstand), die gegen die Todesstrafe und den sich immer stärker ausbreitenden Gefängnis-Industriellen-Komplex kämpft.
Bedrückend, so unterstreicht Angela immer wieder, ist, wie aus der Tradition der reinen Sklaverei, die erst im 19. Jahrhundert in den USA formell abgeschafft worden war, eine faktische Segregation (Rassentrennung und Diskriminierung) entstand, die wiederum erst im 20. Jahrhundert rein rechtlich abgeschafft wurde. Doch weit gefehlt, wer denkt, dass die Tradition der Rassendiskriminierung und Ausbeutung heute im 21. Jahrhundert in den USA überwunden wäre. Der Gefängnis-Industrielle-Komplex zeigt sich als perfides kapitalistisches Instrument der Ausbeutung von Arbeit, Psyche und Ressourcen in dem Subsystem der staatlich subventionierten Privatisierung, in dem Gefängnisse Zwangsarbeit institutionalisieren.
Nach dem Spaziergang treffen wir uns wieder im Occupy-Camp: Per Twitter und Facebook und Livestreams ist Angela Davids Kurzbesuch bekannt gemacht worden und so finden sich rund 50 bis 60 Menschen zur „Assemblea“ ein. Zuerst tauschen sie die Ergebnisse ihrer Arbeitsgruppen, ihre Planungen, ihre persönlichen und politischen Erfahrungen aus, um dann im Gespräch mit ihr über die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Occupy-Bewegung in den USA und hier und ihre politischen Erfahrungen zu diskutieren. Angela stellt die historischen Entwicklungen von sozialen Bewegungen dar und erinnert zugleich an einige Errungenschaften der feministischen Bewegung, die zu neuen Erfahrungen und Formen der Kommunikation führten, wenn mensch zum ersten Male politisch aktiv wird. Auf die Frage eines Teilnehmers der Assemblea, ob wir heute noch von Revolution sprechen können, sagte sie selbstredend „ja“ – „ohne diese würde diese ausbeuterische und ungerechte Gesellschaft nicht verändert werden können“. Sie fühle sich nach wie vor als Revolutionärin. Zugleich aber betonte sie die Notwendigkeit der weiteren Entwicklung der basisdemokratischen Elemente dieser neuen Bewegung. Ein junger Mann betonte, dass diese Bewegung nur die Macht der Banken brechen wolle und nicht für Fragen der Demokratie zuständig sei. Angela hingegen betonte, beide Punkte seien zwei Seiten einer Medaille. Gerade der Slogan der Bewegung mache dies deutlich – 1 % verfügten über die 99 % – und ohne, dass die 99 % aufstehen und für ihre sozialen und demokratischen Rechte kämpfen, würde sich die Gesellschaft nicht verändern. Diesen Kampf spiegele auch die Aussage der Occupy-Wall-Street-Bewegung „Keine Gerechtigkeit – Keinen Frieden“ wieder. Die internationale Vernetzung dieser Bewegung, die sich von Ägypten und Spanien nach Nordeuropa und Nordamerika ausgebreitet hat, ist ihre große Stärke – nämlich überall für Frieden, für Zugang zu Nahrung, Obdach und Bildung, für existenzsichernde und gute Arbeit, für den ökologischen Erhalt der Erde zu kämpfen.
In diesem Zusammenhang sagte sie: „Und was ich selber in verschiedenen Occupy-Gruppen in verschiedenen Teilen der USA gesagt habe, ihr habt das Wort Besetzung genommen, um eure Bewegung zu beschreiben, und deswegen müsstet ihr eure Bewegung scharf von der militärischen Nutzung des Wortes Besetzung differenzieren, weil wir hauptsächlich gewohnt sind, das Wort im Zusammenhang mit militärischen Besetzungen zu hören, z. B. die militärische Besetzung Afghanistans, aber auch die militärische Besetzung von Palästina.“
Sie berichtete den jungen Menschen wie wichtig es in Oakland, in Philadelphia und in New York City gewesen war, dass die Gewerkschaften, die Arbeitslosen und sozialen Aktivisten sich gemeinsam gegen der Polizeigewalt gestellt haben und wie sie weiterhin vorhaben, gemeinsam diese Bewegung zu stärken und nicht aufzugeben. Zugleich verwies sie darauf, dass dieser Prozess zwar ein komplizierter aber sehr erfüllender politischer Prozess sowohl individual-psychologisch als auch gesamtgesellschaftlich ist. Dieser Prozess bilde die Grundlage, wirkliche Solidarität zu entwickeln. Sie erinnerte die Menschen im Camp daran, dass sie letztendlich nur aufgrund der ihr entgegengebrachten internationalen Solidarität 1971/72 heute ein freier Mensch sei – ohne die Millionen Rosen s. (Kasten) und ohne rechtlichen und politischen Beistand wäre das Todesurteil gegen sie von der US-amerikanischen Regierung vollstreckt worden. Daher gehöre in jede soziale Bewegung auch der Kampf um soziale und demokratische Rechte. Daraufhin meldete sich eine Frau und sagte mit bewegter Stimme: „Angela, ich war fünf oder sechs Jahre alt, als ich dir eine Postkarte aus der DDR geschickt habe. Das hat mich schon als Kind politisiert und auch deswegen sitze ich heute hier.“ Ein Teilnehmer fragte sie, welche Strategie diese Bewegung nach ihrer Meinung verfolgen sollte. Sie äußerte Zweifel, ob es Zeit ist, eine ausgearbeitete Strategie der Bewegung zu haben. Diese neue aufregende Bewegung muss vieles ausprobieren, muss sich entwickeln, statt zum jetzigen Zeitpunkt nach einem ausgearbeiteten Plan vorzugehen. Für wichtig und richtig hält sie die neuen Formen, öffentliche Räume wieder in Besitz zu nehmen, dies sei ein legitimes Mittel, wie auch soziale Rechte wieder einzufordern.
Ihre heutige Würdigung an die Menschen und Organisationen, die ihr damals politische Solidarität entgegengebracht haben, macht deutlich, dass sie ihre individuelle, politische Arbeit als ihren Beitrag zu der kollektiven Arbeit von Menschen einbringt, die in sozialen, antirassistischen, feministischen, gewerkschaftlichen und ökologischen Bewegungen, in Flüchtlings- und Gefangenenorganisationen, in all den Bündnissen die Tradition der emanzipatorischen, politischen Arbeit mit humanistischer Gesinnung fortführen.
Begleitet von den Jugendlichen, die singend nd tanzend ihren selbstgeschriebenen Occupy-Song vortrugen, verließen wir mit einer freudig müden Angelas Davis bewegt und aufgewühlt die Berliner Occupy-Zeltstadt.
Eine Million Rosen
Die Festnahme von Angela Davis wegen des Verdachts auf Mord, Menschenraub und Verschwörung in New York City am 13. Oktober 1970 löste eine noch nie da gewesene weltweite Solidaritätsbewegung aus. Während in den USA die „Free Angela“-Kampagne ins Leben gerufen wurde entwickelte sich unter den linken Kräften in der BRD eine politische Solidaritätskampagne. Sie war auch geprägt von der Auseinandersetzung mit der damaligen Kriegspolitik der USA sowie der Unterstützung der überall in der Welt entstandenen Befreiungsorganisationen.
In der ehemaligen DDR sammelten die Bürger im Verlauf der Angela Davis-Solidaritätskampagne „Solidaritätsspenden“: Arbeiter- und Studentengruppen sammelten Unterschriften auf Listen und Transparenten, die sie als Zeichen der Unterstützung zu Davis ins Gefängnis schickten.
Dem Solidaritätsaufruf mit dem Titel „Eine Million Rosen für Angela Davis“ folgend, schickten Kindergarten- und Schulkinder und zahlreiche Jugendverbände abertausende mit Rosen bemalte Postkarten der inhaftierten Angela Davis in die Todeszelle. „Erst waren es einige, dann 20, 30, dann Hunderte und später trugen die Wärter tausende Postkarten täglich in meine Zelle“, so berichtete Angela Davis vor Jugendlichen im Occupy-Zelt in Berlin.